Überlastungsprobleme / Sehnenentzündung / Arthrose
Erfolgreiche Belastungssteuerung mit dem Bankkonto-Modell
Wie kommt es, dass Sportler nicht selten trotz vermeintlich vernünftiger Planung von einer Überlastungsproblematik überrascht werden? Das Bankkonto-Modell kann das – zumindest zu einem Teil – erklären.
Das Bankkonto-Modell hat sich in meinem Sprechstundenalltag bewährt um eine fatale Lücke in unserer Wahrnehmung sichtbar zu machen. Dieses Bankkonto hat für einmal nichts mit Geld zu tun und dennoch kann es Ihnen einen unbezahlbaren Gewinn bringen. Es ist ein erprobtes Hilfsmittel für eine erfolgreiche Belastungssteuerung.
Haben Sie das auch schon mal erlebt?: Eigentlich war es Ihnen klar, das Pensum war wohl zu gross gewesen. Es hat sich einfach so ergeben, das Wetter war grad so schön und es lief sich so locker. Schon noch gut, dass alles glimpflich verlaufen ist, keine Schmerzen, vielleicht ein leichtes Ziehen, aber sicher nichts Ernsthaftes. Und dann, oh Schreck, am anderen Morgen kommen Sie kaum die Treppe runter, das Knie ( oder die Achillessehe, das Schienbein, das Sprunggelenk, der Mittelfuss oder was immer gerade das schwächste Glied in der Kette ist) schmerzt und sie humpeln durch die Wohnung. Was ist da falsch gelaufen? Wie konnten Sie sich nur so täuschen?
Um diesen typischen Ablauf zu verständlich zu machen, habe ich das Bankkonto-Modell entwickelt.
Typische heikle Tätigkeiten
Im Zentrum steht der Gewebetoleranz-Kredit. Für die verschiedenen Strukturen unseres Bewegungsapparates steht uns jeweils ein Kreditrahmen zur Verfügung. Je besser und je spezifischer wir für eine Belastung durch unser alltägliches Training vorbereitet sind, um so höher ist der Kredit. Das bedeutet zum Beispiel, dass das Knie eines Elite-Velorennfahrers auf dem Velo extrem lang und intensiv belastet werden kann, dass der gleiche Sportler aber ohne zusätzliches Joggingtraining für den Laufsport einen vergleichsweise sehr niedrigen Kredit zur Verfügung hat. Mehr zum grossen Anpassungspotential unseres Körpers an unsere Aktivitäten finden Sie hier und dort.
Dummerweise stehen uns nur wenig Informationen zum aktuellen Kontostand zu Verfügung. Wir können beim Erreichen der Kreditlimite kaum etwas Spezielles wahrnehmen. Wer seinen Körper sehr gut kennt, kann möglicherweise leise Zeichen wie ein diskretes Ziehen oder eine Müdigkeit wahrnehmen, wenn er das Konto überzieht. Viel häufiger ist es aber so, dass vorerst durch das Überschreiten der Kreditlimite eine nicht wahrnehmbare Überlastungsreaktion gestartet wird. Im Kern handelt es sich da um eine Gewebeentzündung, die je nach Situation und Gewebe Stunden bis zu einem Tag braucht, bis wir sie als Entzündungsschmerz wahrnehmen. Der verspätete Schmerz ist damit gleichsam der Kontoauszug, der uns mitteilt, dass wir das Konto überzogen haben.
Der Schmerz während der Belastung ist damit kein brauchbares Steuerungskriterium, da wir die wichtigen Informationen erst nach der Belastung erhalten. Wichtig ist zudem eine weitere Überlegung: Wenn wir uns von einer Belastung am Vortag noch nicht voll erholt haben, dann starten wir mit einem reduzierten Gewebetoleranz-Kredit in den Tag!
Wie können wir uns nun vor solch unliebsamen Überraschungen schützen? Was uns fehlt ist der Online-Zugriff auf unser Belastungskonto. So sind wir auf eine gute Beobachtung unserer Belastungsreaktionen angewiesen. Das alltägliche Training steckt aufgrund von Umfang und Intensität einen ungefähren Kreditrahmen ab, den wir uns vor Augen halten müssen. Der Toleranzbereich für das Überschreiten dieses Rahmens ist in einem hohen Mass altersabhängig. Daneben verbessert ein vielfältiges und variantenreiches Training sicher die Belastbarkeit für neue Belastungsformen. Immer bleibt aber eine gewisse Unsicherheit in dem Moment, da wir etwas an unseren gewohnten Aktivitäten ändern: eine Steigerung des Belastungsaufbaus, eine neue Aktivität oder der Wiederbeginn nach einer Verletzungspause.
Was es da braucht, ist eine konsequente Teststrategie zur Dosisfindung.
Schritt 1:
Die Kernfrage lautet da: was dürfte nach meinen Erfahrungen eine vernünftige Dosis sein?
Das kann zum Beispiel eine Umfangsteigerung um einen Viertel sein, eine Intensitätssteigerung von 10% oder eine erste Joggingeinheit von 20 Min nach einer Pause.
Schritt 2:
Diese geplante Dosis muss absolut strikt eingehalten werden, auch wenn alles super läuft und wir gar nichts Negatives spüren. Nur wenn es auch nachher keine Beschwerden gibt und insbesondere auch nicht am anderen Morgen, wissen wir, dass die Dosis im tolerablen Rahmen lag.
Schritt 3:
Wenn auch die nächsten ein bis zwei Trainings mit der gewählten Dosis problemlos verlaufen, kann eine weitere Steigerung erfolgen. Das heisst es geht wieder weiter mit Schritt 1.
Während eines solchen Testablaufs empfiehlt es sich, nur alle zwei Tage eine Einheit einzuplanen. Der Pausentag hat die Rolle eines Sicherheitspuffers, insbesondere im Hinblick auf die nicht immer ganz einfache Überwachung der Belastungsintensität. Generell wird die Sache unübersichtlich, wenn gleichzeitig eine Veränderung am Umfang und an der Intensität erfolgt. Umgekehrt gilt: je besser wir unseren Körper und unsere Toleranzbereiche kennen, umso offensiver können wir Veränderungen planen.
Weitere Artikel zu den Themen "Besonders lesenswert", "Gelenke/Bänder", "Sehne/Muskulatur", "Themen / Auswahl", "Training/Belastung" und "Ueberlastungsfolgen" lesen.
13.08.2014 at 17:50
Guten Tag Herr Reich
Ich bin (noch) keine Patientin von Ihnen, aber ich möchte Ihnen herzlich für Ihre(n) interessanten Artikel danken.
Ich (w) habe erst mit 42 mit dem Laufen begonnen, bin nun 45 und habe 3 Halbmarathons gefinisht. Vor kurzem habe ich mit dem Berg-/ Traillauf angefangen. In meinen Ferien war ich zudem noch wandern, schön oft bergrauf und runter. Nun habe ich eine Sehnenreizung (so vermute ich!) im hinteren Oberschenkel, Nähe Po. Ich war so euphorisch und glücklich im Wald mit den tollen Trailschuhen, Sie können es sich vielleicht vorstellen. Jetzt schmerzt es seit 2 Wochen beim Berglaufen und beim normalen Joggen nach einer Weile. Sie können sich vorstellen, mein Frust war gross, liest man zudem doch immer wieder, man solle komplett pausieren. Dank Ihrer Beiträge weiss ich nun, das ein wohldosiertes Training unterhalb der Schmerzgrenze durchaus sinnvoll sein kann. Ich war kurz davor eben einen Facharzt, wie Sie aufzusuchen, aber ich habe es hoffentlich in einem frühen Stadium gemerkt.
Ich glaube,ich habe begriffen, was Sie meinen. Sollte ich nicht weiter kommen, dann werde ich sicher professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen.
Freundliche Grüsse
A. Dollase
30.04.2017 at 21:52
Herr Dr. Reich mir ist ein langjähriger und sehr geschätzter Ratgeber in allen Fragen rund um meinen Laufapparat im weiteren Sinne. So war er „jüngst“ ein sehr kompetenter, guter und geduldiger Partner bei der Diagnose und erfolgreichen Behandlung meiner Plantarfasziitis. Als leidenschaftlicher Läufer (Marathon/Halbmarathon) musste es irgendwann ja passieren: ein Schmerz im linken Fuss, insbesondere morgens nach dem Aufstehen, z.T. tagsüber „random“, schwer lokalisierbar.
Die Behandlung war langwierig aber schlussendlich erfolgreich, auch wenn für einen ungeduldigen Menschen wie mich nicht immer einfach: zunächst Tausch von Matratzen und Kissen, Gymnastik/Dehnen, Massageball, Bürste, Schuh-Einlagen, verschiedensten Schuhen im Wechsel, Einsatz von Blackroll(s). Das Ganze mit einer massiven Reduktion vom Laufpensum und Wechselspiel Laufen/Gehen. Der gefühlte finale „game changer“ nach über 1.5 Jahren war schlussendlich die nächtliche Nutzung einer Schiene („Plantar Fasciitis Night Splint“). Nach einigen Wochen (unter Beibehaltung der anderen Massnahmen) setze deutliche Besserung ein. Heute (nach weiteren 4 Monaten) bin ich weitestgehend schmerzfrei, habe vor drei Wochen einen Halbmarathon in persönlicher Bestzeit von knapp 1:35 gelaufen.
Was mir sehr gefallen hat: Herr Reich konnte mir kompetent vermitteln, dass Medikamente nicht bei der Behebung helfen, und hat unnötige, nicht zielführende Ausgaben wie MRI usw. auch vermieden. Immer wieder gerne!
31.07.2022 at 07:54
Herr Dr. Reich hat mich vor einiger Zeit vor einer unnötigen Operation, an einer namhaften Klinik in Zürich, an meiner Ferse wegen Achillessehnenüberlastung und in der Folge einer Haglund-Ferse bewahrt. Mit dem Bankkontomodell, für mich unglaublich viel Geduld und angepasstem Schuhwerk habe ich mit einigen Rückfällen (Entzündung der Tibialis-posterior Sehne, dem Pes anserinus-Syndrom und diversen Muskelverspannungen) wieder zurück in den Laufsport gefunden. Das Bankkontomodell ist und bleibt aber mein ständiger Begleiter im Sport. Ab und zu, aber immer seltener, tappe ich wieder in die Falle, dass der Kopf mehr will, als der Körper zu leisten vermag. Vielen Dank für Ihre Unterstützung/Begleitung/Betreuung Herr Dr.Reich.
01.08.2022 at 06:17
Danke für die Rückmeldung und viel Spass beim schuldenfreien Laufen.