Sehnenüberlastung / Tennisellbogen
Woher habe ich meinen Tennisarm?
Beim Tennisarm ist das Verstehen der Entstehungsgeschichte ein wichtiger erster Schritt für Behandlung und Rückfallprophylaxe. Einfach ist das allerdings häufig nicht. Die Detektivarbeit lohnt sich aber allemal.
Auf diese Frage finden die wenigsten Patienten eine klare Antwort. Meistens sind die Schmerzen an den äusseren Sehnenansätzen des Ellbogens eines Tages einfach da, ohne dramatische Ereignisse und ohne offensichtliche Fahrlässigkeit. Dass ein Tennisarm mit einer Überlastungsreaktion zu tun hat, wissen viele. Wie und wann aber im Einzelfall die Überlastung zu Stande kam, das bleibt unklar.
Wenn ich mit dem Patienten oder der Patientin im ersten Gespräch nach den auslösenden Faktoren suche, kann es schon mal heissen: „Wozu müssen wir denn das so genau wissen, behandeln Sie doch einfach meinen Ellbogen!“. Es lohnt sich jedoch, an diesem Punkt zu insistieren. Für die Behandlung ist es ein grosser Vorteil, wenn die konkreten Ursachen geklärt sind. Wer verstanden hat, wie er sich seinen Tennisarm eingehandelt hat, ist besser gerüstet für die Behandlung.
Wieso ist die Antwort für den Patienten so schwierig zu finden?
Drei Aspekte verhindern, dass die auslösende Überlastung einfach identifiziert werden kann. Zum Ersten werden Belastungen auf unseren Bewegungsapparat häufig unterschätzt und der eigene Trainingszustand wird im Gegenzug überschätzt. Wenn Peter Muster nach einer strengen Woche im Büro am Samstag im Ferienhaus mit der Schleifmaschine während drei Stunden das Holz an der Fassade bearbeitet, dann ist das auf den ersten Blick keine gewaltige Belastung. Ein Handwerker macht diese Arbeit ja tagelang ohne Probleme. Genau besehen fordert Herr Muster seine Sehnen und Gelenke jedoch bei der täglichen Arbeit nur wenig und auch in der Freizeit treibt er kaum Sport. So ist die Belastbarkeit der Sehnenansätze am Ellbogen eben bescheiden.
Zum Zweiten spielen häufig mehrere Faktoren eine Rolle. Es ist nicht das Gleiche, ob Herr Muster seine Schleifarbeit nach einer sehr strengen Woche mit viel PC- und Mausarbeit verrichtet, oder ob er dieselbe Arbeit am Ende der Ferien macht. Die verkrampfte Arbeit mit der Maus führt häufig bereits zu einem latenten leichten Reizzustand am Ellbogen, ohne dass unser Patient etwas davon spürt. Wenn während der Schleifarbeiten auch noch ein kalter Wind bläst, kann das die Sehnenstrukturen anfälliger für Überlastungsreaktionen machen, und das Risiko für einen Tennisarm steigt weiter.
Der dritte Aspekt betrifft den typischen zeitlichen Verlauf. Fast immer treten die ersten Beschwerden mit zeitlicher Verzögerung auf. Während der Schleifarbeiten glaubt Peter Muster, dass noch alles im grünen Bereich sei. Der Arm fühlt sich vielleicht müde an, aber von Schmerzen keine Spur. Erst am nächsten Tag ist die Bescherung spürbar. Schon das Zähneputzen am Morgen schmerzt. Diese heimtückische Latenz hängt mit den Entzündungsvorgängen am Sehnenansatz zusammen. Die Reaktion auf die Überlastung im Gewebe braucht eine gewisse Zeit, und so treten die Schmerzen erst verzögert auf.
Mein „Bankkontomodell“ als Verständnishilfe
Dem Patienten erkläre ich den Einfluss dieser verschiedenen Aspekte mit meinem Bankkonto-Modell. Für die einzelnen Strukturen unseres Bewegungsapparates haben wir jeweils einen „Gewebetoleranz-Kredit“ zu Verfügung. Je besser wir für eine Belastung durch unsere alltäglichen Tätigkeiten vorbereitet sind, umso höher ist der Kredit. Der Kredit von Herrn Muster war so betrachtet für die Arbeit mit der Schleifmaschine relativ gering. Wegen der strengen Arbeitsphase am PC war dieser Kredit zudem bereits angebraucht, als er mit dem Schleifen begann. Deshalb hatte er wohl spätestens nach zwei Stunden seinen Kredit aufgebraucht, nur hat er davon nichts gemerkt. Wegen dem verzögerten Auftreten der Entzündungsreaktion merkte er erst am Tag darauf, dass er das Konto überzogen hatte. Der Schmerz ist so gesehen der Kontoauszug, den er – völlig überrascht – tags darauf im Briefkasten findet. Ist das Gewebe bereits vor der Belastung entzündet, ist die Latenzzeit entsprechend kürzer. Die Latenzzeit zwischen Überlastung und Schmerz kann stark variieren: Ist das Gewebe schon entzündet und der Kredit damit sehr niedrig, kommt die Information über den negativen Saldo, sprich die Überlastung, rascher, quasi per Telefon statt per Post.
Typische heikle Tätigkeiten
Potentiell heikle und häufig unterschätzte Belastungen für die Sehnenansätze am Ellbogen gibt es viele. Im Zentrum stehen langdauernde Belastungen für die Handgelenk- und Fingerstreckmuskulatur. Häufig sind es intensive Putzarbeiten oder handwerkliche Tätigkeiten in einer ungewohnten Stellung. Es kann aber auch „nur“ das längere Tragen von grösseren Lasten am hängenden Arm sein. Beim Tennis als Namensgeber für das Problem ist ein Rackettwechsel oder die Erhöhung der Saitenspannung in Kombination mit herausfordernden Spielsituationen eine klassische Falle.
Erschwerende Begleitfaktoren
Einseitige Haltebelastungen im Sitzen, Triggerpunkte in einzelnen Vorderarmmuskeln oder auch Verletzungen können die Belastbarkeit der Sehnenansätze reduzieren. Nicht selten fördert zudem eine für sich selbst möglicherweise nicht einmal besonders schmerzhafte Reizung der sechsten Nervenwurzel an der Halswirbelsäule das Auftreten eines Tennisarms.
Die typischerweise betroffenen Sehnenansätze liegen im Ausstrahlungsbereich dieser Nervenwurzel und so kann es durch die Nervenreizung zu einer erhöhten Empfindlichkeit der Sehnen kommen. Verursacht werden diese Nervenwurzelirritationen meistens durch eine einseitige sitzende Arbeitstätigkeit in einer ungünstigen Position, zum Beispiel mit vorgeschobenem Kopf, wie es die Schildkröte vormacht.
In der Regel zeichnet sich nach der genaueren Analyse der Belastungen im Zeitraum vor dem Auftreten der ersten Beschwerden eine mehr oder weniger konsistente Arbeitshypothese ab. Das Verständnis für die möglichen auslösenden Faktoren ist gleichzeitig eine gute Basis für ein konstruktives Verhalten im Hinblick auf die Heilung. Doch davon mehr in meinem nächsten Blogbeitrag.
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