Sporttherapie/Rückenschmerzen
Sport für heikle Rücken
Bewegung und Sport ist bei Rückenschmerzen eine wichtige Behandlungsmassnahme. Entscheidend für die Auswahl der Sportart ist weniger die Diagnose als viel mehr das individuelle Profil der Belastbarkeit. Genaue Beobachtungen nicht nur während, sondern vor allem auch nach der Belastung sind entscheidend.
„Ich möchte etwas für meinen schmerzenden Rücken tun. Welche Sportart ist da sinnvoll?“. Diese häufig gestellte Frage zielt in die richtige Richtung. Mehr Bewegung ist erwiesenermassen gut für schmerzende, aber auch für gesunde Rücken. Das Zusammenspiel der Muskeln wird aktiviert und jede Bewegung ist für die meist sehr einseitig belasteten Rückenstrukturen eine willkommene Abwechslung. Fatalerweise werden Schmerzen häufig als Aufforderung zur Schonung auf der ganzen Front fehlgedeutet, aus Angst, dass die Schmerzen noch schlimmer, wenn nicht gar „chronisch“ werden könnten. Was den Betroffenen fehlt, sind Anhaltspunkte für einen konstruktiven und aufbauenden Umgang mit solchen Schmerzsituationen.
Was zu tun ist, hängt weniger von der exakten Diagnose ab – diese bleibt trotz allen Abklärungen häufig ohnehin vage –, sondern vielmehr von den ganz individuellen Funktionseinschränkungen und den momentanen Belastungsgrenzen. Diese müssen durch aufmerksames Beobachten vom Einzelnen ausgelotet werden. Wenn man Kenntnis von ein paar grundlegenden Zusammenhängen zwischen Belastung und Schmerzen hat, fällt diese Beobachtungsaufgabe wesentlich leichter.
Wenig sinnvoll ist zum Beispiel, genau das zu tun, was die Schmerzen für längere Zeit klar verstärkt. Das scheint auf den ersten Blick simpel, ist es aber häufig nicht. Durch mechanische Reizung ausgelöste Schmerzen melden sich nicht immer sofort. Mitunter bleibt die Situation vorerst für ein paar Stunden trügerisch ruhig und erst dann kommt die Quittung. Die Joggingrunde am Vormittag ging problemlos, aber Mitte Nachmittag verstärken sich die Schmerzen plötzlich, quasi ohne Ursache aus heiterem Himmel. In solchen Situationen kann ein Blick zurück die Klärung bringen: Was habe ich in den letzten 24 Stunden gemacht?
Ebenso rätselhaft kann das Phänomen „Importschmerzen“ sein. Wenn immer nach 20 Minuten Jogging Schmerzen in der linken Wade auftreten, dann kann das eine Überlastung der Wadenmuskeln sein oder seltener eine Reizung ausgehend von der zugehörigen Nervenwurzel der Lendenwirbelsäule, ausgelöst durch die wiederholten kleinen Stauchungen im Moment, da der Fuss am Boden landet. Vielleicht treten diese Beschwerden aber überhaupt nicht auf, wenn statt am Mittag frühmorgens gejoggt wird. In diesem Fall werden am Mittag die Folgen von fünf Stunden Dauersitzen bei der Arbeit als Hypothek in die Joggingperiode importiert – Jogging ohne solche Vorbelastungen wird dagegen vom gleichen Läufer problemlos toleriert.
Erfahrungsgemäss gibt es heiklere und weniger heikle Belastungsformen. Diese zu kennen hilft beim Herausfinden des eigenen Belastbarkeitsprofils. Die Schläge beim Aufprall der Füsse am Boden werden auch bei guter Dämpfung von Rückpatienten häufig nicht gut ertragen. Eine Besserung kann hier schon die Reduktion des Tempos oder eine Streckenwahl mit einem leichten Anstieg bringen. Andere Rückengeplagte wiederum springen und hüpfen ungestraft, sie vertragen aber die nach vorn gebeugte Haltung auf dem Bike ganz schlecht. Eine Anpassung der Fahrradgeometrie an diese individuelle Einschränkung kann das Problem in den meisten Fällen lösen. Nicht selten wird gerade in der zweiten Lebenshälfte die ganz aufrechte Körperhaltung mit entsprechender Betonung des hohlen Kreuzes beim Stehen sowie beim Gehen und Laufen bergab schlecht vertragen. Eine veränderte Körperhaltung kann da Wunder wirken: Statt die Heldenbrust in ständiger Erwartung der Ziellinie nach vorn zu schieben, ist da eine Andeutung von demütiger Vorneigung gefragt. Die Verwendung von Sportstöcken kann diese Umstellung unterstützen. Bewusst beobachtet werden müssen auch die plötzlichen Drehbewegungen der Wirbelsäule und die „Stop and go“ Belastungen bei Ballsportarten.
Welche von diesen verschiedenen Aspekten für den sportwilligen Rückpatienten von Bedeutung ist, zeigen nur aufmerksame und achtsam dosierte Belastungstests. Aus diesem Grund sind generelle Sportartempfehlungen im Einzelfall von beschränktem Nutzen. Der beste Startpunkt für eine glückliche Wahl seiner Sportart ist immer noch die einfache Frage, welche sportlichen Tätigkeiten denn Spass machen würden. Schliesslich hat nur das, was mit Freude getan wird, Chancen auf einen festen Platz im Alltag. Mit etwas Flexibilität, mit kreativen Anpassungen und auch Interesse an neuen Erfahrungen findet sich meistens eine befriedigende sportliche Aktivität. Wann geht’s los?
Weitere Artikel zu den Themen "Nacken/Rücken", "NZZ-Kolumnen" und "Training/Belastung" lesen.
21.09.2009 at 21:47
Sehr geehrter Herr Reich
Anstatt an meiner DA zu schreiben, bin ich an Ihren sehr interessanten Beiträgen „hängen geblieben“. Als ehemaliger Leistungssportler kann ich Ihre Ausführungen allesamt unterschreiben. Sie sind einer der ersten Ärzte, der z.B. auf die Zusammenhänge von Sportpausen und der Gefahr der Überbelastung bei Wiederaufnahme des Trainings hinweist. Dass man Einlagen zur Behebung einer Weh-Wechens gebraucht, diese aber anschliessend auch wieder sachte abbauen darf, ist ebenfalls meine Erfahrung, welche jedoch noch von keinem Sportarzt geteilt wurde: „Lebenslänglich“ ist die Devise.
Genervt 😉 hat mit Ihr Beitrag über die Achillessehnen-Verletzungen. Auch hier haben Sie genau jenen Teufelskreis beschrieben, in welchem ich mich im Moment befinde.
Nochmals besten Dank für Ihre mutigen Beiträge und Gruss aus Graubünden
Giovanni
22.09.2009 at 17:16
Besten Dank für die Rückmeldung. Ihnen wünsche ich einfach, dass die zeitliche Belastung wegen der DA Sie genau im richtigen Mass bremst in Ihren sportlichen Aktivitäten, dass sich Ihre Achillessehne in dieser Zeit zu beruhigen und stabilisieren vermag. Vermutlich braucht es dazu doch noch eine zusätzliche Portion Aufmerksamkeit!
Alles Gute!
Christoph Reich